Hirnstammimplantat

Aus Hör-Wiki
Version vom 13. Oktober 2025, 14:36 Uhr von SabineS (Diskussion | Beiträge) (Nachweise umgestellt)

Ein Hirnstammimplantat, auch Auditory Brainstem Implant (ABI) genannt, ist eine spezielle Hörprothese für Menschen, bei denen ein herkömmliches Cochlea-Implantat (CI) nicht möglich ist – etwa weil der Hörnerv fehlt oder stark geschädigt ist.[1] Im Gegensatz zu einem CI stimulieren die Elektroden direkt die Hörbahn im Hirnstamm und nicht den Hörnerv.

Grundlagen

Ein ABI ist ein elektronisches Gerät, das direkt den Hirnstamm stimuliert – genauer gesagt den Nucleus cochlearis, also den ersten Umschaltpunkt der Hörbahn im Hirnstamm. Es wird eingesetzt, wenn der Hörnerv nicht funktioniert oder nicht vorhanden ist[2], zum Beispiel bei:

  • Neurofibromatose Typ 2 (NF2) – einer genetischen Erkrankung mit beidseitigen Tumoren am Hörnerv
  • angeborener Hörnervenaplasie
  • komplett verknöcherter Cochlea (z. B. nach Meningitis)
  • schweren Schädelverletzungen

Funktionsweise

Das System besteht aus zwei Hauptkomponenten:

  • Implantat – unter der Haut hinter dem Ohr implantiert; enthält die Empfangseinheit und die Stimulationselektroden, die auf dem Hirnstamm (Nucleus cochlearis) platziert werden.
  • Audioprozessor – wird außen getragen; er nimmt Schall über ein Mikrofon auf, wandelt diesen in elektrische Signale um und überträgt sie drahtlos (induktiv) an das Implantat.

Die Elektroden des Implantats stimulieren direkt die Hörbahn im Hirnstamm, wodurch das Gehirn Höreindrücke erzeugen kann. Dabei wird das Innenohr sowie der Hörnerv umgangen.[3]

Hörleistung

Mit einem ABI können Träger häufig Alltagsgeräusche unterscheiden und das Lippenlesen deutlich verbessern. Das Sprachverstehen ist jedoch in der Regel eingeschränkt – ein freies Sprachverständnis ähnlich wie mit einem CI wird nur selten erreicht.[4]

Ein intensives Hörtraining nach der Operation ist entscheidend für die erfolgreiche Nutzung.[5]

Indikationen

Ein ABI ist vor allem geeignet für:

  • Erwachsene mit Neurofibromatose Typ 2 (NF2)
  • Kinder mit angeborener Hörnervenaplasie, meist ab einem Alter von etwa einem Jahr
  • Patienten, bei denen ein Cochlea-Implantat nicht möglich oder erfolglos war

Implantate

Zu den in Deutschland verfügbaren Hirnstammimplantaten gehören folgende Modelle:

  • MED-EL: SYNCHRONY ABI, CONCERTO ABI und PULSAR ABI

Hinweis: Auch von Oticon Medical gibt es ein Hirnstammimplantat, das Digisonic® SP ABI. Nach aktuellem Stand (Herbst 2025) werden jedoch keine Implantate von Oticon Medical in Deutschland implantiert. Bereits implantierte Systeme werden jedoch weiter betreut.

Literatur

  • R. Klinke, T. Lenarz: Das Auditory Brainstem Implant (ABI) in Laryngo-Rhino-Otologie, Band 80 (2001); S. 291–298; Georg Thieme Verlag; DOI: 10.1055/s-2001-13109
  • Claßen, Joseph et al.: Hirnstammimplantate zur Stimulation der zentralen Hörbahn in Interventionelle Neurophysiologie (2013); DOI: 10.1055/b-0034-44293; https://www.thieme-connect.de/products/ebooks/lookinside/10.1055/b-0034-44293

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Universitätsklinikum Freiburg: Hirnstammimplantat (ABI); https://hno.uniklinik-freiburg.de/patienteninformationen/implantierbare-hoersysteme/hirnstammimplantat-abi.html, letzter Abruf: 2025-10-10
  2. Universitätsklinikum Würzburg: Hirnstammimplantate; https://www.hno.ukw.de/patienten/hirnstammimplantate/, letzter Abruf: 2025-10-10
  3. V. Colletti, L. Shannon: Open set speech perception with auditory brainstem implant?, Laryngoscope, Band 112 ( 2002); S. 1239–1242; National Library of Medicine; DOI: 10.1097/00005537-200207000-00020
  4. Universitätsklinikum Freiburg: Hirnstammimplantate, Auditory Brainstem Implant (ABI); https://www.uniklinik-freiburg.de/icf/ci-versorgung/implantate/hirnstammimplantat-abi.html, letzter Abruf: 2025-10-13
  5. Deep NL, Choudhury B, Roland JT Jr.: Auditory Brainstem Implantation: An Overview. J Neurol Surg B Skull Base. 2019 Apr;80(2):203-208. doi: 10.1055/s-0039-1679891. Epub 2019 Feb 14. PMID: 30931229; PMCID: PMC6438789.